Unsichtbare Kunst und ihre didaktischen Perspektiven

Invisible arts and their didactic perspectives

  • Es gibt künstlerische Ausdrucksformen, bei denen der Einstieg in eine Auseinandersetzung nicht über wahrnehmbare Materialien und Formeigenschaften funktioniert, weil die Werke nicht sichtbar sind und sich demzufolge einer sinnlich-visuellen Wahrnehmung entziehen. Gleichwohl bieten gerade sie die Möglichkeit, den Betrachter durch ihre Präsenz so nachhaltig zu irritieren, dass er im Prozess einer gesteigerten Konzentration zu gänzlich neuen Erkenntnissen gelangt, die einen überraschenden Bezug zu seiner Lebenswelt ermöglichen. Die historische Entwicklung unsichtbarer Kunstwerke verläuft nicht linear. Frühe Beispiele finden sich zunächst in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Im 20. Jahrhundert findet das Thema Eingang in die bildende Kunst und erlebt in den 1960er und 1970er Jahren seinen bisherigen Höhepunkt. Im Gegensatz zu anderen Tendenzen der Nachkriegskunst wurden solche unsichtbaren Werke trotz ihrer kunsthistorisch unumstrittenen Bedeutung von der Kunstdidaktik bislang nahezuEs gibt künstlerische Ausdrucksformen, bei denen der Einstieg in eine Auseinandersetzung nicht über wahrnehmbare Materialien und Formeigenschaften funktioniert, weil die Werke nicht sichtbar sind und sich demzufolge einer sinnlich-visuellen Wahrnehmung entziehen. Gleichwohl bieten gerade sie die Möglichkeit, den Betrachter durch ihre Präsenz so nachhaltig zu irritieren, dass er im Prozess einer gesteigerten Konzentration zu gänzlich neuen Erkenntnissen gelangt, die einen überraschenden Bezug zu seiner Lebenswelt ermöglichen. Die historische Entwicklung unsichtbarer Kunstwerke verläuft nicht linear. Frühe Beispiele finden sich zunächst in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Im 20. Jahrhundert findet das Thema Eingang in die bildende Kunst und erlebt in den 1960er und 1970er Jahren seinen bisherigen Höhepunkt. Im Gegensatz zu anderen Tendenzen der Nachkriegskunst wurden solche unsichtbaren Werke trotz ihrer kunsthistorisch unumstrittenen Bedeutung von der Kunstdidaktik bislang nahezu vollständig ignoriert. Das Erleben von Kunstwerken ist das zentrale Anliegen des Kunstunterrichts und basiert größtenteils auf optisch-visuell vermittelten Inhalten. Zwar spielen bisweilen auch haptische oder akustische Aspekte in der Kunstvermittlung und der bildnerischen Praxis in der Schule eine gewisse Rolle, dennoch aber steht die sinnlich-optische Wahrnehmung traditionell am Anfang aller kunstpädagogischen Bemühungen. Dies gilt auch für die aktuelle Didaktikdiskussion. Im Zentrum steht weiterhin alles, was sich "primär visuell, über den Sehsinn vermittelt" (Grünwald 2009). Darauf deuten auch einschlägige Formulierungen wie "Sehen Lernen", "Gebrauch der Sinne" oder "visuelle Kompetenz". Dabei gibt es genügend Gründe, die für eine Beschäftigung mit unsichtbaren Phänomenen sprechen: Unsichtbare Werke spiegeln vielfältige Phänomene unserer Lebenswirklichkeit – beispielsweise die nicht sichtbaren Wirkungen radioaktiver Strahlung –, werfen wichtige Fragen auf und ermöglichen eine Auseinandersetzung mit den Grenzen der visuellen Wahrnehmung. Daraus lassen sich folgende Fragestellungen ableiten: Wie kann man als Kunstpädagoge Kunstwerke handhaben, die nicht direkt sinnlich erfahrbar, die nicht sichtbar sind? Wie können Schüler damit umgehen, und welchen Sinn könnte das für sie haben? Unsichtbare Kunstwerke lassen sich nicht über visuelle Rezeptionsstrategien erschließen. Sie bilden eine Lücke im Fluss der Alltags- und Kunstwahrnehmung und werden dem Betrachter auf eine ihnen ganz spezifische Weise nahe gebracht. Die traditionelle Auffassung, der Umgang mit Kunst im Unterricht müsse vornehmlich auf visuellen Wegen stattfinden und eine Verfeinerung der optischen Wahrnehmung zum Ziel haben, wird mit der Dissertationsschrift widerlegt. Damit wird zugleich eine weiterreichende Perspektive eines zeitgemäßen Verständnisses des Faches Kunst eröffnet, die den spezifischen Wirkungen unsichtbarer Werke im Unterrichtskontext folgt und diese in Zusammenhang mit Bildungsplänen und Lernzielen bringt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass durch unsichtbare Kunst wesentliche fachspezifische Kompetenzgewinne sowie ein signifikanter Einfluss auf die Persönlichkeitsbildung der Schüler und Schülerinnen erzielt werden können.show moreshow less
  • Some pieces of art and some ways of artistic expression cannot be considered through visible materials, form and/or function as they are in fact invisible and beyond any conscious perception. Having said that, it is especially this invisible form of expression which irritates the beholder or contemplator so deeply that he/she can easily come to complete new insights which can create a surprising reference to his/her own worldly context. You can find this topic in 20th century fine arts with a peak in the sixties and seventies. Compared with other styles of post war visual arts invisible pieces were almost completely ignored by educationalists despite their importance. To experience art is a central approach of teaching it in schools and is based on information passed on through visual perception. "The visual sense is in the focus" you can read this from the lips of educationalists who speak of "teach how to watch" – "teach how to use your senses" – "teach how to adapt visual skills".Some pieces of art and some ways of artistic expression cannot be considered through visible materials, form and/or function as they are in fact invisible and beyond any conscious perception. Having said that, it is especially this invisible form of expression which irritates the beholder or contemplator so deeply that he/she can easily come to complete new insights which can create a surprising reference to his/her own worldly context. You can find this topic in 20th century fine arts with a peak in the sixties and seventies. Compared with other styles of post war visual arts invisible pieces were almost completely ignored by educationalists despite their importance. To experience art is a central approach of teaching it in schools and is based on information passed on through visual perception. "The visual sense is in the focus" you can read this from the lips of educationalists who speak of "teach how to watch" – "teach how to use your senses" – "teach how to adapt visual skills". At the same time there are enough reasons speaking for an occupation with invisible phenomena. Invisible pieces of art speak of our every day reality, e.g. the invisible effects of radio activity, ask important questions and play with the limits of visual perception. The traditional idea that teaching arts in school has to be based on visual ways in order to improve perception is debunked in the course of this thesis and it is meant to open a new perspective towards a contemporary approach of teaching arts in schools.show moreshow less

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Metadaten
Author:Stefan Mayer
URN:urn:nbn:de:bvb:384-opus-18161
Frontdoor URLhttps://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/opus4/1589
Advisor:Constanze Kirchner
Type:Doctoral Thesis
Language:German
Publishing Institution:Universität Augsburg
Granting Institution:Universität Augsburg, Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät
Date of final exam:2011/07/28
Release Date:2011/12/06
Tag:Kunstrezeption; visuelle Wahrnehmung; vielsinnige Wahrnehmung
invisible art; visual perception; sensual perception; invisible phenomena; concept art; art didactic; art education; art pedagogy
GND-Keyword:Concept-art; Rezeption; Ästhetische Wahrnehmung; Kunsterziehung
Institutes:Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät
Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät / Kunstpädagogik
Dewey Decimal Classification:3 Sozialwissenschaften / 37 Bildung und Erziehung / 370 Bildung und Erziehung
Licence (German):Deutsches Urheberrecht