Mädchenschulen: Dramatisierung oder Entdramatisierung von Geschlecht? Eine verschränkende Darstellung vertiefter quantitativer und qualitativer empirischer Analysen zur 'Wirkungsweise' der Geschlechtersegregation

Girls' Schools: A Dramatization or De-Dramatization of Gender? : A Cross-Over Depiction of Consolidated Quantitative and Qualitative Empirical Analyses of the 'Way of Working' of Gender Segregation

  • Wie die Ergebnisse aktueller Bildungsstudien verdeutlichen, werden die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen zwar insbesondere in Bezug auf den formalen Schulerfolg immer geringer, allerdings bestehen nach wie vor bereichsspezifische Geschlechterdifferenzen, die ihren Niederschlag u.a. in der (ökonomisch und sozial) meist ungünstigeren Situation von Frauen im Erwerbsleben finden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Ausgangsfrage, ob monoedukative Schulen Chancen für eine Nivellierung geschlechtsbezogener Ungleichheiten bieten? Diese Fragestellung bildet das Zentrum des von Prof. Dr. Leonie Herwartz-Emden geleiteten DFG-Projektes 'Schulkultur, Geschlechtersegregation und Mädchensozialisation', an das sich die Arbeit angliedert. Welche Relevanz einer Untersuchung zukommt, die in einem heute zumindest im deutschsprachigen Raum fast in Vergessenheit geratenen Feld – der Mädchenschule – angesiedelt ist, zeigt ein Blick auf die Forschungssituation: Mit der Frage nach möglichenWie die Ergebnisse aktueller Bildungsstudien verdeutlichen, werden die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen zwar insbesondere in Bezug auf den formalen Schulerfolg immer geringer, allerdings bestehen nach wie vor bereichsspezifische Geschlechterdifferenzen, die ihren Niederschlag u.a. in der (ökonomisch und sozial) meist ungünstigeren Situation von Frauen im Erwerbsleben finden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Ausgangsfrage, ob monoedukative Schulen Chancen für eine Nivellierung geschlechtsbezogener Ungleichheiten bieten? Diese Fragestellung bildet das Zentrum des von Prof. Dr. Leonie Herwartz-Emden geleiteten DFG-Projektes 'Schulkultur, Geschlechtersegregation und Mädchensozialisation', an das sich die Arbeit angliedert. Welche Relevanz einer Untersuchung zukommt, die in einem heute zumindest im deutschsprachigen Raum fast in Vergessenheit geratenen Feld – der Mädchenschule – angesiedelt ist, zeigt ein Blick auf die Forschungssituation: Mit der Frage nach möglichen Potenzialen der Monoedukation wird an ein international aktuelles Forschungsthema angeknüpft, das in Deutschland bislang wenig (erziehungs-)wissenschaftliche Beachtung erfährt. Die Dissertation ist im Schnittfeld der empirischen Schul-/Unterrichtsforschung und der qualitativen Geschlechterforschung zu verorten. Konkret richtet sich das Forschungsinteresse auf zwei zentrale Aspekte des 'Sozialisationsfeldes Mädchenschule' – die Schülerinnen und den Unterricht in ausgewählten Fächern. In diesem Zusammenhang ist ein Aspekt der Geschlechtertrennung besonders zu berücksichtigen: Segregierte Schulen kommen 'paradoxen Interventionen' (Wetterer, 1996) mit Optionen zur Dramatisierung und Entdramatisierung von Geschlecht gleich. Die Dramatisierung betrifft die Tatsache, dass die Heranwachsenden durch die Organisationsform per se auf ihr Geschlecht (quasi das 'Aufnahmekriterium') verwiesen werden, sich jedoch gleichzeitig Möglichkeiten einer Entdramatisierung, eines Bedeutungsverlustes von Geschlecht und Geschlechterdifferenzen im schulischen Alltag ergeben. Dementsprechend nähert sich die Studie, in die sowohl ein- als auch gemischtgeschlechtlich zusammengesetzte Klassen aus bayerischen Realschulen und Gymnasien einbezogen wurden, dem Kontext mit verschiedenen methodischen Zugängen an: Im Mittelpunkt der quantitativen Untersuchungslinie, die auf einer Fragebogenerhebung basiert, steht die 'Sicht' der Mädchen auf ihre Schule (Erleben der Lernumgebung, Wahrnehmung des Schulklimas, Einschätzung der Beziehungsqualität, Einstellung gegenüber der Organisationsform, Emotionen und Haltungen). Erfasst wurden zudem fachbezogene Merkmale, Bewertungen und Leistungen (Noten) in Deutsch (als 'Mädchenfach'), Mathematik und Physik (als 'Jungenfächern') sowie berufliche, familiäre und partnerschaftsbezogene Zukunftsentwürfe. Der qualitative Forschungsstrang, der sich mit der teilnehmenden Unterrichtsbeobachtung methodisch an das Paradigma der Ethnographie anlehnt, fokussiert auf die Ebene der Gestaltung von Unterricht bzw. den Alltag von Schule. Forschungsgegenstand ist die Handlungspraxis der an den jeweiligen Interaktionen beteiligten Schülerinnen und Lehrpersonen im Mathematik-/Physikunterricht im Alltag der Mädchenschule. Es wird danach gefragt, ob in bestimmten Situationen Inszenierungen bzw. Praktiken zu lokalisieren sind, die mit Konstruktionsprozessen von Geschlecht, Geschlechterdifferenzen und/oder schulischen Fachkulturen in Verbindung stehen. Zusammenfassend belegt die Untersuchung, dass Mädchenschulen für ihre Schülerinnen durchaus eine Alternative zu koedukativen Lernumgebungen anbieten können. Insbesondere die Resultate der Basisbefragung verweisen auf das Potenzial geschlechtersegregierter Lernkulturen in den Naturwissenschaften: Während sich in Deutsch und in Mathematik kaum Unterschiede in Abhängigkeit von der Organisationsform ergeben, gehen die Ergebnisse im Fach Physik in eine eindeutige Richtung: Die Mädchen aus monoedukativen Klassen erreichen im Durchschnitt bessere Noten, sind von ihren Kompetenzen überzeugter, an den fachlichen Inhalten interessierter und fühlen sich im Unterricht wohler als koedukativ unterrichtete Gymnasiastinnen. Was die Fachbewertungen betrifft, ist Physik bei Mädchenschulschülerinnen signifikant beliebter als bei Schülerinnen koedukativer Schulen. Aber auch Mädchenschulen sind zwangsläufig nicht frei von den dominanten Geschlechterverhältnissen, ihrem Glaubenssystem und den begleitenden Stereotypen, wie die Unterrichtsbeobachtungen zeigen: Zum Teil rufen die fachkulturellen Konstruktionsprozesse und das 'Gendering' der Fachkulturen Assoziationen mit dem hegemonialen Männlichkeitsbild hervor. Die sog. 'normativen Zwänge' des kulturellen Systems der Zweigeschlechtlichkeit sind in den Köpfen der Akteurinnen und Akteure nicht außer Kraft zu setzen, auch nicht in einem weitgehend geschlechtshomogenen Kontext. Dennoch sollten die Potenziale monoedukativer Lerngruppen in bestimmten Fächern nicht übersehen werden.show moreshow less
  • As made clear by the results of current educational studies, differences between girls and boys are ever more decreasing, particularly regarding success at school. However there are still field-specific gender differences becoming obvious a. o. by the (economically and socially) mostly unfavourable situation of women in working life. Against this background there is the initial question if single-sex schools provide opportunities for a levelling of gender-related inequalities. This question is at the heart of the DFG project 'School Culture, Gender Segregation and the Socialization of Girls', to which this study is attached. The relevance of a study located at a field which these days has almost been forgotten – at least in the German-speaking countries – becomes obvious by looking at the research situation: By asking about possible potentials of single-sex education one connects to an internationally relevant research topic which for the time being has met littleAs made clear by the results of current educational studies, differences between girls and boys are ever more decreasing, particularly regarding success at school. However there are still field-specific gender differences becoming obvious a. o. by the (economically and socially) mostly unfavourable situation of women in working life. Against this background there is the initial question if single-sex schools provide opportunities for a levelling of gender-related inequalities. This question is at the heart of the DFG project 'School Culture, Gender Segregation and the Socialization of Girls', to which this study is attached. The relevance of a study located at a field which these days has almost been forgotten – at least in the German-speaking countries – becomes obvious by looking at the research situation: By asking about possible potentials of single-sex education one connects to an internationally relevant research topic which for the time being has met little (educational-)scientific attention in Germany. This dissertation thesis is located at the intersection of empirical school/teaching research and qualitative gender research. Concretely, the research interest is directed towards two essential aspects of the girls' school as a 'field of socialization' – girls students and teaching in selected subjects. In this context, one aspect of gender segregation must particularly be taken into consideration: Single-sex schools are equal to 'paradox interventions' (Wetterer 1996) with options of dramatizing and de-dramatizing gender. Dramatization concerns the fact that this way of organizing school per se relates young people to their gender (so to speak a 'criterion for admission'), while at the same time there result possibilities of de-dramatization, of a loss of significance of gender and gender differences in everyday life at school. Accordingly the study, for which both single-sex and mixed-sex classes at Bavarian secondary modern and grammar schools were included, tackles the context by way of a variety of methodical approaches: In the focus of the quantitative research line, based on a questionnaire survey, there is the girls' 'view' of their school (experiencing the learning environment, perception of the school's atmosphere, judging on the quality of relations, attitude towards this way of organizing school, emotions and attitudes). Also recorded were subject-related features, judgements and performance (marks) in the subjects of German (as a 'girls' subject'), Mathematics and Physics (as 'boys' subjects') as well as ideas of the future regarding vocation, family and partnership. The qualitative research line, whose participatory observation is methodically connected to the paradigm of ethnography, focusses on the level of organizing teaching or everyday life at school. The research topic is the action practice of those girl students and teachers as participating in the respective interactions during Mathematics/Physics lessons as part of everyday life at school. The question is if in certain situations it is possible to identify stagings or practices which are connected to the construction process of gender, gender differences and/or subject-related school cultures. As a summary, the study gives evidence to girls' schools definitely being able to provide their students with an alternative to coeducative learning environments. Particularly the results of the basic survey point out to the potential of gender-segregated learning cultures in the natural sciences: Whereas in German and Mathematics hardly any difference related to this way of organizing school could be identified, the results in the subject of Physics show a clear direction: On average, girls in single-sex classes achieved better marks, are more convinced of their skills, are more interested in subject-related contents and feel more comfortable during lessons than girls at coeducational grammar schools. What concerns their judgment on subjects, among girls' school students Physics is significantly more popular than among girls students at mixed-sex schools. However, inevitably even girls' schools are not free of predominant gender relations, their beliefs and accompanying stereotypes, as it is shown by the observations of lessons: Partly the subject-cultural construction processes and the 'gendering' of subject cultures provoke associations of a hegemonial male image. The so called 'normative constraints' of the cultural system of bisexualism in the heads of stakeholders and participants cannot be overcome, not even within a mostly gender-homogeneous context. Nevertheless, one should not overlook the potentials of single-sex learning groups in certain subjects.show moreshow less

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Metadaten
Author:Verena SchurtGND
URN:urn:nbn:de:bvb:384-opus-18291
Frontdoor URLhttps://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/opus4/1592
Advisor:Leonie Herwartz-Emden
Type:Doctoral Thesis
Language:German
Publishing Institution:Universität Augsburg
Granting Institution:Universität Augsburg, Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät
Date of final exam:2009/11/04
Release Date:2011/12/12
Tag:Monoedukation
single-sex education; girls' schools; gender; socialization
GND-Keyword:Mädchenschule; Geschlechtsunterschied; Sozialisation
Institutes:Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät
Fakultätsübergreifende Institute und Einrichtungen
Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät / Pädagogik
Fakultätsübergreifende Institute und Einrichtungen / Zentrum für LehrerInnenbildung und interdisziplinäre Bildungsforschung
Dewey Decimal Classification:3 Sozialwissenschaften / 37 Bildung und Erziehung / 370 Bildung und Erziehung
Licence (German):Deutsches Urheberrecht