Die Verwaltung des Nachlasses durch die Erbengemeinschaft zwischen § 2038 und § 2040 BGB

  • Die vielfältigen Interessen, die bei Personenmehrheiten aufeinandertreffen, erfordern eine sinnvolle Organisation des Verhältnisses der Personen zueinander und zu Dritten, um einen angemessenen Interessenausgleich sicherzustellen. Dies gilt ganz besonders für die Erbengemeinschaft, da diese ohne einen darauf gerichteten Willen der Beteiligten kraft Gesetzes mit dem Erbfall entsteht. Mehrere Personen werden so mehr oder minder freiwillig zusammengewürfelt und sind gezwungen, gemeinsam zu agieren – die Interessengegensätze sind naturgemäß größer als bei vertraglichen, bewusst gewählten Zusammenschlüssen. Das aktuelle Konzept der Nachlassverwaltung der Erbengemeinschaft verschärft die Situation. Die Nachlassverwaltung ist vom Gemeinschaftsprinzip dominiert, wonach alle Entscheidungen und Maßnahmen grundsätzlich von allen Miterben gemeinschaftlich getroffen werden müssen. Bei zunehmender Größe einer Erbengemeinschaft und den damit ansteigenden Interessengegensätzen kann das Erzielen einerDie vielfältigen Interessen, die bei Personenmehrheiten aufeinandertreffen, erfordern eine sinnvolle Organisation des Verhältnisses der Personen zueinander und zu Dritten, um einen angemessenen Interessenausgleich sicherzustellen. Dies gilt ganz besonders für die Erbengemeinschaft, da diese ohne einen darauf gerichteten Willen der Beteiligten kraft Gesetzes mit dem Erbfall entsteht. Mehrere Personen werden so mehr oder minder freiwillig zusammengewürfelt und sind gezwungen, gemeinsam zu agieren – die Interessengegensätze sind naturgemäß größer als bei vertraglichen, bewusst gewählten Zusammenschlüssen. Das aktuelle Konzept der Nachlassverwaltung der Erbengemeinschaft verschärft die Situation. Die Nachlassverwaltung ist vom Gemeinschaftsprinzip dominiert, wonach alle Entscheidungen und Maßnahmen grundsätzlich von allen Miterben gemeinschaftlich getroffen werden müssen. Bei zunehmender Größe einer Erbengemeinschaft und den damit ansteigenden Interessengegensätzen kann das Erzielen einer Einigung so zu einem mühsamen und langwierigen Prozess werden und zu einer Lähmung der Verwaltungstätigkeit führen. Gerade bei stark konfliktbelasteten Erbengemeinschaften lädt die Notwendigkeit zur Einstimmigkeit zu missbräuchlichem Verhalten ein. Vereinzelt wittern Miterben sicherlich ein lukratives Geschäft darin, durch gezielt querulatorisches Verhalten Verwaltungsmaßnahmen zu lähmen, um sich, wohlwissend um das Drohpotenzial ihrer Weigerungshaltung, ihre Zustimmung zu Verwaltungsmaßnahmen abkaufen zu lassen. Aber auch soweit querulatorisch motivierte Miterben nicht die Verwaltungstätigkeit zu lähmen drohen, kann sich das Erreichen der Einstimmigkeit schon rein logistisch als schwierig erweisen und zu großen Zeitverlusten führen, insbesondere wenn einzelne Miterben unbekannt sind oder weit verstreut leben und die Wahrung bestimmter Formvorschriften für die Zustimmungserteilung erforderlich ist. Hinzu kommt, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich im vergangenen Jahrhundert wesentlich verändert haben, während die Regelungen zur Nachlassverwaltung seit ihrer Einführung mit dem Inkrafttreten des BGB am 1.1.1900 unverändert geblieben sind und so der wirtschaftlichen Entwicklung hinterherhinken. Während die Nachlassverwaltung nämlich immer noch statisch ausgestaltet ist, haben insbesondere technische Innovationen ein zunehmend dynamisches Marktumfeld hervorgebracht, welches seinen Teilnehmern zunehmend Flexibilität abverlangt. Um die Schwerfälligkeit der Nachlassverwaltung zu lindern, lässt die herrschende Meinung auf Verpflichtungsebene ein Mehrheitshandeln zu, insbesondere um eine unnötige und auch schädliche Blockadehaltung durch Minderheitserben im Rahmen der alltäglichen Verwaltung des Nachlasses zu verhindern. Auf Verfügungsebene hält die herrschende Meinung dagegen unter Berufung auf den Wortlaut des § 2040 BGB unumstößlich am Erfordernis gemeinschaftlichen Handelns fest. Dies führt zu dem widersprüchlichen Ergebnis, dass das einem Verfügungsgeschäft vorgelagerte Verpflichtungsgeschäft durch die Mehrheit vorgenommen werden kann, es für die Durchführung des Verfügungsgeschäfts dann aber doch wieder der Mitwirkung sämtlicher Miterben bedarf. Die Mehrheitserben können damit die Erbengemeinschaft wirksam zur Vornahme einer Handlung verpflichten, die sie dann aber bei einer Weigerung der Minderheitserben schlicht nicht vornehmen können. Als Ausweg bleibt dann nur noch die Beschreitung des Klagewegs, um die Maßnahme durchzusetzen. Eine querulatorische Minderheit könnte hier also doch triumphieren und wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen auf lange Sicht blockieren, zulasten der Nachlassgläubiger und letztlich auch der Miterben selbst. Dieses Ergebnis ist widersprüchlich und wenig zufriedenstellend, und man fragt sich, warum die herrschende Meinung sich nicht überwinden kann, das Mehrheitsprinzip auch auf die Verfügungsebene auszuweiten, um ein einheitliches, stimmiges Konzept für die Nachlassverwaltung zu bieten. Lösungsansätze, die über eine Auslegung bzw. Rechtsfortbildung auf Grundlage der aktuellen Gesetzeslage versuchen, das Gemeinschaftsprinzip auf Verfügungsebene einzudämmen, haben sich bislang aber nicht durchsetzen können. Die Scheu der herrschenden Meinung wird jedoch nachvollziehbar, wenn man sich die aktuelle Gesetzeslage vor Augen führt. Einer weitergehenden Flexibilisierung auf ihrer Grundlage steht das klare Bekenntnis des Gesetzgebers zu Bestandsschutz und Gemeinschaftsprinzip entgegen – die Grenzen möglicher Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung sind hier erreicht. Um eine Flexibilisierung der Handlungsorganisation der Erbengemeinschaft zu erreichen, damit die Erbengemeinschaft ihren Aufgaben in dem neuen wirtschaftlichen Umfeld besser gerecht werden kann, muss die Nachlassverwaltung auf ein neues Fundament gestellt werden – der Gesetzgeber ist hier gefragt.show moreshow less

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Metadaten
Author:Ana-Maria Stanescu
URN:urn:nbn:de:bvb:384-opus4-25610
Frontdoor URLhttps://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/opus4/2561
Advisor:Christoph Ann
Type:Doctoral Thesis
Language:German
Publishing Institution:Universität Augsburg
Granting Institution:Universität Augsburg, Juristische Fakultät
Date of final exam:2013/11/13
Release Date:2014/01/29
GND-Keyword:Deutschland; Erbengemeinschaft; Nachlassverwaltung
Note:
Diese Dissertation entstand im Rahmen eines Kooperationsvertrages zwischen der Technischen Universität München und der Universität Augsburg. Der Erstgutachter ist Prof. Dr. Christoph Ann, LL.M, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsrecht und Geistiges Eigentum der Technischen Universität München und der Zweitgutachter Prof. Dr. Christoph Becker, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Zivilverfahrensrecht, Römisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte an der Universität Augsburg.
Institutes:Juristische Fakultät
Juristische Fakultät / Institut für Zivilrecht
Dewey Decimal Classification:3 Sozialwissenschaften / 34 Recht / 340 Recht
Licence (German):Deutsches Urheberrecht